Hans Küng: Der Anfang aller Dinge - Naturwissenschaft und Religion

Piper, München/Zürich 2006, 247 Seiten , ISBN 10:3-492-04787-4


Gottes Worte Es werde Licht aus Genesis verbindet der Philosoph-Theologe Hans Küng mit der Losung der deutschen Aufklärung, die in England als EnLightment und in Frankreich als Les Lumières angefangen hatte. Diese Strömung im westlichen Denken wollte den Menschen mit Hilfe der Vernunft, des logisch denkenden Verstands, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien, wie Kant das damals formulierte. Küng zeigt uns in kurzen und klaren Kapiteln wie die Entwicklung der Naturwissenschaften (Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton, Einstein, Planck usw., usw.) nicht nur den Glaubenszweifel an einem Schöpfer-Gott nährte, sondern auch die Haltung der Kirche dem Modernismus gegenüber stärkte. Das ganze Buch aber ist ein überzeugendes Plädoyer für die Konvergenz der Naturwissenschaften und der Religion(en). Die Zeit scheint nicht nur reif dazu zu sein, eine solche Konvergenz ist ebensosehr notwendig um den großen Problemen der Menschheit entgegenzutreten. Küng macht klar, daß es der Menschheit nämlich trotz der revolutionären Entdeckungen der vielen Gelehrten nicht gelungen ist, eine Theorie zu finden, die erklärt was die Welt im Innersten zusammenhält (Goethe). Wir lesen, wie sich sogar Stephen Hawking überzeugen ließ, daß eine Grand Unified Theory (GUT) unmöglich sei (S. 36). In unserer Zeit fühlt der Mensch sich anscheinend verlorener als je. Fast hilflos sieht er zu, wie die Welt von Kriegen und Gewaltsausbrüchen zerrissen wird, die zum Teil auch mehr oder weniger in religiösen Anschauungen wurzeln.

Kommt GOTT nach GUT wieder ins Bild?

Wiesehr sich der Mensch auch dazu bemüht, seine Welt zu erklären, immer wieder entstehen daraus nur Bilder und Anschauungen. Küng schildert uns deren viele: die statische Weltanschauung des Mittelalters, die dynamische Weltauffassung des 19. Jahrhunderts und in deren Spur die Geschichtswissenschaft und die Evolutionslehre; der Positivismus eines August Comte und des Wiener Kreises um Rudolf Carnap herum, der die Sinneserfahrung zum Kriterium der Sinngebung macht; die Idee der vielen Universen; der Stringtheorie, usw., usw.

Die Wissenschaft hat die Mittel, Hypothesen durch Falsifizierung zu überprüfen. Eine Idee, eine Hypothese, gilt solange sie nicht falsifiziert worden ist. Karl Popper war der Meinung, daß dies auch für philosophische Ideen zutreffe; ihre große Bedeutung für die Entwicklung der Kosmologie habe sich denn auch erwiesen (S. 43). Küng legt hier eine Verbindung mit der Hypothese des französischen Evolutionsbiologen und Priesters Teilhard de Chardin und mit der Prozeßphilosophie. Er hütet sich aber davor, Theologie und Philosophie mit den Naturwissenschaften zu vermischen und schreibt: "Die mathematisch orientierte Naturwissenschaft hat [...] ihre volle Berechtigung, Eigenständigkeit, Eigengesetzlichkeit. Kein Theologe oder Kirchenmensch sollte sie unter Berufung auf eine höhere Autorität (Gott, Bibel, Kirche, Papst) in Frage stellen." Andererseits aber sollten "Fragen der menschlichen Psyche und Gesellschaft, des Rechts, der Politik und Historie, der Asthetik, Ethik und Religion auch nach der ihrem Objekt entsprechenden je eigenen Methodik und eigenem Stil behandelt werden" (S.45). Zu recht habe man den Dualismus eines Descartes zwischen Subjekt und Objekt, Denken und Sein, Geist und Materie, Körper und Seele, Mensch und Tier kritisiert. Aber auch gegenüber dem Dualismus von Glaube und Vernunft, Philosophie und Theologie sollte die Einheit der Wirklichkeit immer wieder zur Sprache gebracht werden, betont Küng (S. 50). Neben dem methodisch-rationalen Denken von Descartes (l'esprit de géometrie) sei das intuitive Erkennen und Empfinden des Zusammenhangs aller Bereiche (l'esprit de finesse) eines Blaise Pascal notwendig.

Die Frage nach der Existenz Gottes gehöre nach Küng nicht in den Bereich der Naturwissenschaft, aber da Gottesglaube mit verschiedenen Weltmodellen vereinbar ist, legt er es ihr nahe, Gott mindestens als Hypothese zu betrachten. Wenn es einen Gott gäbe, so wäre die Kernfrage nach dem Anfang aller Dinge beantwortet, nämlich: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts. Daß Gott nicht nur eine Hypothese, eine Idee is, sondern wirklich existiert, erfahren wir ja nicht aufgrund reiner Theorien, sondern von einer auch rational verantwortbaren Vertrauenshaltung aus (S. 98).

Auch für diejenigen, die nicht (länger) an einen persönlichen Gott, oder an Gott überhaupt glauben können, bietet Küngs Denken so viele neue Perspektiven, daß sie das Buch nicht ungelesen lassen sollten. HvB